Einen genaueren Eindruck der Monate Juli und August in Lemgo vermitteln die Aufzeichnungen des Küsters und Lehrers Karl Knappmeier in seiner handschriftlichen "Chronik der Schule zu St. Johann I West" (Stadtarchiv Lemgo T 3/14), begonnen im Juli 1915.
Er schreibt: "Am 25. Juli 1914 begannen die Sommerferien. Reif zur Ernte standen die Felder. Blitzend schon fuhr die Sense In das rauschende Korn. Aufgerichtet standen die vollen Garben. Früher als sonst begann die Erntearbeit, da im Schweiß des Angesichts eingebracht wurde, was hoffnungsvoll gesät war. Alle Hände, auch Kinderhände, müssen nun hart schaffen. „Auf Fröhlich Wiedersehen!“ so schieden Lehrer und Schüler am 25. des Erntemonats. Wir ahnten nicht, zu welch großer Erntearbeit deutsche Männer bald gerufen werden sollten, wieviel Größeres auf schönerem Erntefeld eingebracht werden sollte. Ahnten wir es nicht? Zitterte nicht unser Herz, als die grauenvolle Kunde von dem Meuchelmord zu Sarajevo [28. Juni 1914] an unser Ohr drang? – Die Augen unserer Kinder füllten sich mit Tränen über das Leid, das damit auch unserm geliebten Kaiser angetan war.
Kaum eine Woche war vergangen, da fiel schon an unsern Grenzen der Verstörer in unsere Ernte. Die Hufe von Kosakenrossen zerstampften die Felder. Die Sense wurde mit dem Schwert vertauscht. Am 1. August nachmittags um 6 Uhr erklang das Wort: „Mobil“ auch durch unsere Stadt und über die Fluren ihrer Feldmark. Am Sonntagmorgen, dem 2. August, schon folgten Familienväter und Jünglinge dem Einberufungsbefehle. Ernste Worte erklangen im Kriegsgottesdienst. Ps. 46. Am Schlusse erhob sich die Gemeinde und sang brausend: Ein‘ feste Burg!
Nach dem Bußtage am 5. stellten sich die Kriegsfreiwilligen. Welch stattliche Zahl auch aus unserer Gemeinde! Von Schülern der Schule zu St. Johann seit 1905 traten, freudig dem Rufe ihres geliebten Kaisers folgend, ein: im ganzen bis 1. Oktober 1915 – 32 Jünglinge in der Blüte ihrer Jahre. Gott mit Euch! Ihr hochgemuten Kriegsfreiwilligen! Wohl sehr glücklich ist, wer zu sterben weiß für Gott und das teure Vaterland! Euer edler Name ist geweiht – der Unsterblichkeit!
Täglich erfolgten neue Einberufungen. Unter den Klängen der Wacht am Rhein, Deutschland über alles begleitet von dem Posaunenchor des Jünglingsvereins zogen sie dem Bahnhofe zu. Hunderte und Tausende gaben ihnen das Geleit, verharrten am Bahndamme, bis der lange Zug den Blicken entschwand. „Auf Wiedersehen Mit Gott!“ ihr Streiter im heiligen Kampfe.
Stiller und ernster wurde es in der Gemeinde. Allabendlich versammelten wir uns im Gotteshause zur ernsten Betstunde. Auch unsere Jugend. Auch sie fühlte den Ernst der großen Zeit. [...]"
Die Darstellung ist natürlich stark patriotisch und nationalistisch geprägt und atmet unverkennbar den Geist ihrer Entstehungszeit. Deutlich wird aber, dass es wohl eine Art Ambivalenz der Einschätzungen gab. Auf der einen Seite der entschlossene Aufbruch in den Kampf, um das vermeitlich angegriffene Vaterland zu verteidigen, andererseits "Stille" und "Ernst". Ungebrochener "Hurra-Patriotismus" war noch nicht angesagt. Der Glaube an einen "heiligen Kampf", dem sich auch die männlichen Schüler nicht entzogen, ist aber bereits Teil der (protestantischen) Kriegsdeutung und wird von Knappmeier in seiner Schulchronik immer wieder betont.